In den Kommentaren tauchte jetzt mehrmals das Stichwort „Macht“ auf. Das Streben nach Macht ist in der Regel verbunden mit dem Wunsch, Situationen kontrollieren zu wollen. Wenn ich denke, dass ich die Kontrolle über eine Situation verliere, kann das Angst machen. Interessanterweise steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ich die Kontrolle über die Situation verliere, wenn ich in Angst bin.
Niederländisch: Lucia Rijker onder boze jongeren
http://rainbop.blogspot.de/2009/06/lucia-rijker-onder-boze-jongeren.html
Das Gesetz des Stärkeren?
Wenn ich denke, dass ich klein bin und mich nicht wehren kann, mache ich mich gedanklich zum Opfer. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich dann auch tatsächlich zum Opfer werde, ist groß.
Wenn ich denke, dass ich groß bin und mindestens genauso stark wie mein Gegenüber, gehe ich vielleicht in den Kampf. Dann wird darum gerungen, wer zum Opfer wird.
Wenn ich denke, dass ich groß bin und mental mindestens genauso stark wie mein Gegenüber, kann ich auch einfach stehen bleiben. Dann sage ich: „Hier ist mein Platz. Das sind meine Werte. Dafür stehe ich ein.“ Wenn mein Gegenüber dann beschließt, mich anzugreifen, kann ich genau beobachten, wo die Schwachstellen im Angriff sind und sie dafür nutzen, meinen Platz zu behalten. Das lerne ich gerade im Aikido. Bereits in der allerersten Stunde konnte ich mit dem allerersten Griff einen Mann, der rein körperlich größer und stärker war als ich, ohne (!) Kraftaufwand auf den Boden legen. Das war sehr beeindruckend und grenzte schon fast an Magie.
Laut einem Infoheft des Aikido Dojo Köln (aikido-koeln.de) war die Philosophie des Meisters Morihei Ueshiba geprägt von dem Gedanken, dass jedes Individuum des Mikrokosmos in Abhängigkeit und Harmonie mit dem Ganzen steht.
Im Aikido ist „Do“ der zentrale Gedanke jeder Übung und bedeutet „Weg“. Do meint weniger eine Fertigkeit zu erlernen. Vielmehr geht es darum, das im Menschen liegende Potential zu erweitern. So kann er zu seiner Sinnbestimmung wachsen und sein Leben in Bewusstheit und Erkenntnis erfüllen. Im Japanischen bedeutet „Ai“ im Aikido Harmonie/Liebe. Der Leitgedanke und das regierende Prinzip im Aikido ist die harmonische Einheit von gegensätzlichen Kräften, die es auszugleichen gilt und aufeinander abzustimmen. Dadurch wird die natürliche Ordnung wieder hergestellt, die beispielsweise durch eine nicht friedvolle Absicht gestört ist.
Das technische Prinzip beruht auf dem Grundsatz des Eintretens und des Ausweichens. Dabei darf das Ausweichen nicht als Nachgeben oder sich der Handlung entziehen verstanden werden. Der Ausführende vermeidet lediglich im Augenblick eine übereilte Reaktion und bewahrt sich so die Möglichkeit, frei zu entscheiden und zu handeln. Dieser äußeren Bewegung liegt eine innere Dynamik der Atmung, des Geistes und der Energie, dem „ki“ im Aikido zugrunde. Dabei wird „ki“ im fernöstlichen Sinne als eine universelle (Lebens-) Energie verstanden, die alles Leben durchdringt, belebt und mit der Atmung in engem Zusammenhang steht.
Nicholas Pettas ist ein großer, kräftiger und erfahrener Karatekämpfer. In dem Video greift er einen Aikido Meister an, der rein äußerlich kleiner und schmächtiger erscheint. Pettas hat keine Chance und landet auf dem Boden.
https://www.youtube.com/watch?v=GEggq9gyxv0
Wenn mich jemand im offenen Raum angreift, kann ich mit der Energie des Angriffs gehen. Ich kann in meiner Mitte bleiben und die Energie zurückgeben. Ich kann meinem Platz behalten, ohne Widerstand zu leisten. In der Ruhe liegt die Kraft. Ich kann erkennen, dass es mir nichts bringt, Macht über jemanden anders erlangen und halten zu wollen. Im Zweifelsfall wird die Person, die ich klein zu halten versuche, aufbegehren.
Katie Melua - Spider's web
http://www.youtube.com/watch?v=tK2z1G20_9U
Bild: 2008-10 in Wudang Shan, China
Kommentare (11)
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- Hallo lukita,
danke Deiner Nachfrage.
Nein, ich habe keinen passenden Kurs gefunden: weil ich nicht danach gesucht habe.
Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass ich das Leben so nehmen werde, wie es eben kommt. - "Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass ich das Leben so nehmen werde, wie es eben kommt."
Das ist mal ein klares Statement! ;-) - Smarla: "Ich werde dieses Erlebnis nie vergessen: es hat mir gezeigt, wie "stark" auch der Körper einer untrainierten (und kleinen ;-)) Frau sein kann-und dass der Kopf einen ganz großen Anteil daran hat, was man aufgrund der eigenen körperlichen Konstitution für möglich hält."
Das halte ich auch für ein klares und starkes Statement. :-) - Hallo Maria_L,
da muss ich doch eines fragen: empfandest Du meine bisherigen statements als unklar? - Nein, Smarla...ich finde Dich meistens gar nicht unklar.
Und wenn, dann sage ich es auch.
Der Spruch von Dir hat eine gewisse furchterregende Größe...
Von mir weiß ich, daß ich mir das hier "dass ich das Leben so nehmen werde, wie es eben kommt" schon oft vorgenommen und auch oft dran gescheitert bin.
Ich nehme es mir dennoch immer wieder vor.
Das ist die Sorte Sprüche, die man nicht 1:1 umsetzen muß.
Es reicht, wenn man es ernsthaft versucht.
Und natürlich nehme ich auch die Einschränkung ernst, daß ich zwar versuche, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, aber dran bleiben werden, andere Dinge zu ändern, die in meiner Macht stehen.
Und hoffe auf genug Verstand, beides zu unterscheiden.
Gerade muß ich an meine Nachbarin denken.
Ich bat sie, nicht bei Sturm in den baufälligen Ziegenstall zu gehen. Sie meinte nur "Ach weißt Du, wenn Allah will, daß mir das Dach auf den Kopf fällt, kann das auch bei Sonnenschein passieren".
Mit dieser Sorte Pragmatismus kann ich (noch) nicht dienen - und will es auch nicht. -
Hallo Maria_L,
Bezugnehmend auf Dein Zitat:
>Gerade muß ich an meine Nachbarin denken.
Ich bat sie, nicht bei Sturm in den baufälligen Ziegenstall zu gehen. Sie meinte nur "Ach weißt Du, wenn Allah will, daß mir das Dach auf den Kopf fällt, kann das auch bei Sonnenschein passieren".
Mit dieser Sorte Pragmatismus kann ich (noch) nicht dienen - und will es auch nicht.<
Ich kann diesen Gedanken Deiner Nachbarin absolut nachvollziehen.
Ich würde nur nicht denken, wenn Allah das will: ich würde es als schicksalsgegeben sehen.
Wie es scheint, ist meine Denkweise sowohl pragmatisch-als auch auf meine eigene Weise spirituell: ich habe keine Angst vor dem Tod.
Das bedeutet keineswegs, dass ich den Tod herbeisehnen würde: ganz im Gegenteil.
Ich möchte die Zeit, die ich hier in diesem Leben habe, sehr gerne nutzen: manchesmal stehe ich mir dabei aber selbst im Weg.
Mir tut es immer wieder gut, über alles zu reden-und mich mit anderen Menschen auszutauschen.
..und jeder kleiner Schritt, den ich zuerst theoretisch mit Worten wage-und dann real gehe-ist immer wieder ein Erfolgserlebnis für mich :-) - Aber glaube mir - Du würdest nicht in DIESEN Stall gehen, wenn es stürmt...
Einigen wir uns doch einfach drauf:
Es ist eine Kunst, auf dem Grat zwischen Schicksalsergebenheit und Blödheit zu wandeln. Und diese Kunst muß man täglich üben. -
"Da es selbst aus blutrünstiger Gewalt hervorgegangen ist, kennt Aikido das Faszinosum der Gewalt: Sie befreit uns von den Fesseln aller Ängste und Rücksichten. Aus diesen Gründen bekämpft Aikido die Gewalt in ihrem eigenen Rahmen und unter den Bedingungen ihrer spektakulärsten und zugleich geläufigsten Äußerungen. Es tritt ihr nicht mit gleicher Macht und Gewalt engegen, sondern hält ihr nur einen Spiegel vor, den unbestechlichen Spiegel eines gelassenen, friedenstiftenden Geistes."
Aikido von André Protin
Die Kampfkunst ohne Gewalt: ein Weg der Selbstfindung und Lebensführung.
S.122
Was mich damals total fasziniert hat, fand in einer der ersten Stunden statt:
Wir sollten uns auf den Rücken legen: und dann sagte uns unser Lehrer, er würde sich jetzt auf unseren Bauch stellen.
Wir hielten das für unmöglich: untrainiert, keine besonders ausgeprägten Bauchmuskeln-das geht doch nicht!
Doch-es ging: Bauchmuskeln angespannt-und schon stand dieser erwachsene, normal gewichtige Mann mit beiden Füßen auf meinem Bauch!
(Bitte nicht ohne professionelle Anleitung nachahmen!)
Ich werde dieses Erlebnis nie vergessen: es hat mir gezeigt, wie "stark" auch der Körper einer untrainierten (und kleinen ;-)) Frau sein kann-und dass der Kopf einen ganz großen Anteil daran hat, was man aufgrund der eigenen körperlichen Konstitution für möglich hält.
Wichtig fand ich auch, dass sowohl der Lehrer als auch wir teilweise in Straßenkleidung trainierten: das machte es realistischer.
Jetzt habe ich richtig Lust dazu, meine damaligen Erfahrungen wieder aufzufrischen: werde gleich nach einem passenden Kurs suchen.