Montag, 30. Januar 2017

Meine Mutter (10/12)


Krieg. Überleben. Lachen.

Meine Mutter erlebte als kleines Kind mit sechs Jahren im August 1944 einen der Bombenangriffe auf Kaiserslautern in einem Luftschutzkeller eines Hotels. Das Hotel wurde dabei zerstört. Ihr Vater erlebte den Angriff in einer Kaserne in der Nähe. Nach dem Angriff ging ihre Mutter mit beiden Kindern Richtung Kaserne. Ihr Vater ging Richtung Hotel. Sie trafen sich auf halber Strecke und waren erleichtert, dass sie überlebt hatten und unverletzt waren.

Kaiserslautern im Bombenhagel
http://rainbop.blogspot.de/2016/01/kaiserslautern-im-bombenkrieg.html

Ihr Vater war als Soldat beim Feldzug in Russland dabei und erlebte die Kesselschlacht von Demjansk. Wegen eines abgefrorenen Zehs kam er in ein Lazarett, das in der Tschechoslowakei lag. Der Zeh wurde ihm amputiert. Dafür konnte er das Schlachtfeld verlassen. 1945 kam er in Kriegs-Gefangenenschaft in Frankreich. Ein Jahr lang musste er in einem Steinbruch arbeiten. Er überlebte Krieg und Gefangenschaft. Eine unversehrte Feldausgabe von Goethes Faust brachte er mit nach Hause. Ich kann mich an keine Erzählungen über den Krieg von ihm erinnern. Einmal fragte ich nach, wie es gewesen war. Seine Antwort war ein Wort: „schrecklich“. Dabei hatte er den Blick, den ich so oft an ihm sah: Er ging ins Leere.

Ihre Mutter hatte einen Beruf erlernt, was in der Zeit nicht so üblich war. Ich lernte sie als Hausfrau kennen, die für das Essen verantwortlich war und sich um den Garten kümmerte. Meine Mutter wollte auch finanziell unabhängig sein und verdiente selbst das Geld für das Studium ihres Wunschberufs. Dann wurde sie Mutter von zwei Kindern und Hausfrau. Seit meiner Geburt hat sie nicht mehr in ihrem Beruf gearbeitet, obwohl sie Jobangebote erhielt. Sie wollte immer für ihre Kinder da sein. Sie hatte viel Angst um mich und ließ mich oft nicht alleine raus. Erst wenn ich mit anderen Kindern verabredet war, ließ sie mich gehen.

Meine Mutter hörte früher gerne WDR 4. In meiner Kindheit tat ich es ihr gleich. Mein Lieblingslied damals:
Alexandra - Sehnsucht (Das Lied der Taiga)
https://www.youtube.com/watch?v=AdbsVqD1CB8&list=PLN-ZVQ9Hc8I6Sxm2QM_7oR5d8MFuazOe1

Als ich mir mit 12 oder 13 Jahren eine Dokumentation aus dem Schlachthof ansah, fragte sie: „Warum schaust Du Dir das auch an?“ Ich selbst wurde daraufhin Vegetarierin und war damit die einzige in meiner Umgebung. Ich wollte einfach nicht dafür verantwortlich sein, was in den Schlachthäusern dieser Welt passiert.

Gegen den Willen meiner Mutter habe ich Dinge durchgesetzt, die mir wichtig waren. In einem Ferienjob habe ich damals als einzige die vereinbarten drei Wochen lang in sengender Hitze zwischen dornigen Rosensträuchern Unkraut gejätet. Meine zwei Freundinnen hatten bereits nach kurzer Zeit aufgegeben. Meine Mutter hatte nicht gewollt, dass ich dort arbeite. Das ließ mich durchalten. Mit 16 Jahren bin ich das erste Mal alleine nach Irland gefahren, was für mich eine prägende und positive Erfahrung war. Auch das hatte sie nicht gewollt. Das ständige „Nein“ hat meinen Willen gestärkt: Ich bleibe dran, wenn ich etwas erreichen will und wenn ich spüre, dass es mir wichtig ist.

Meine Mutter hat eine ausgeprägte Liebe zu Pflanzen. Sie geht gerne in botanische Gärten und kennt die lateinischen Namen der Pflanzen. In jedem Zimmer finden sich Zimmerpflanzen. Auf der Terrasse hat sie unzählige Pflanzen. Einer Nordmann-Tanne, die sie im Vorgarten gepflanzt hatte, schaute sie beim Wachsen zu. Sie wurde schließlich so groß, dass mein Vater Angst bekam, dass sie bei einem Sturm umfallen und das Haus beschädigen könne. Er wollte die Tanne fällen. Meine Mutter beschütze sie lautstark. Nach einem starken Sturm willigte sie schließlich doch ein.

Früher wie heute schaut sie gerne die Karnevalssendung „Mainz, wie es singt und lacht“ an. Das war meine erste Begegnung mit dem Karneval. Sie hat Humor und lacht gerne.

Das Lebensmotto meiner Mutter:
Mach es wie die Sonnenuhr,
zähl die heiteren Stunden nur

Meine Mutter will immer wissen, was in der Welt los ist. Sie hört Radio und schaut viel Fernsehen. 2012 schenkten wir meiner Mutter ein iPad. Sie nutzt es inzwischen sehr intensiv.

Eines ihrer Lieblingslieder, das sie sich auf dem iPad anschaut:
Vicky Leandros - Ich liebe das Leben
https://www.youtube.com/watch?v=vpq05GA4D6M&list=PLN-ZVQ9Hc8I6Sxm2QM_7oR5d8MFuazOe1

Meine Mutter freut sich immer, wenn ich anrufe oder zu Besuch komme.

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Bild: 2012-08 in Adelsheim 

Kommentare (2) 

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    schrieb am 30.01.2017 um 08:43
    Unsere Mütter würden sich vermutlich gut verstehen...;-)

    Das hier kann ich wörtlich von meiner sagen:
    "Meine Mutter wollte auch finanziell unabhängig sein und verdiente selbst das Geld für das Studium ihres Wunschberufs. Dann wurde sie Mutter von zwei Kindern und Hausfrau. Seit meiner Geburt hat sie nicht mehr in ihrem Beruf gearbeitet, obwohl sie Jobangebote erhielt. Sie wollte immer für ihre Kinder da sein. Sie hatte viel Angst um mich und ließ mich oft nicht alleine raus. "

    Nur, daß wir drei Kinder waren.

    Meine Mutter erlebte die ersten Kriegsjahre in Nürnberg.
    Sie wohnten hinter dem Bahnhof, der besonderes Bombenziel war.
    Einmal entgingen sie nur knapp der Bombardierung, weil sie kurz vorher das Nachbarhaus verließen, wo ihre Freundin getötet wurde.

    Danach hat meine Mutter mit ca. 10 Jahren ihrer Mutter gesagt, sie wolle dort weg und notfalls würde sie das alleine machen.
    Meine Oma traute ihr das durchaus zu und organisierte die Evakuierung zu Verwandten auf dem Land.

    Dort verbrachte meine Mutter dann (Eigenaussage) die schönste Zeit ihres Lebens mit den Tieren und Menschen des landwirtschaftl. Hofes.
    Das hat sie stark geprägt und im Grunde auch mich, weil es dazu geführt hat, daß sie später unbedingt auf dem Land leben wollte und weil sie natürlich ihre Liebe zu Tieren + Pflanzen und Landwirtschaft an uns weiter gegeben hat.

    Mit dem Ergebnis daß ich die Gärtnerlehre gemacht habe und meine Schwester Landwirtschaft studiert hat.

    Hast Du mal das Buch Kriegsenkel gelesen?
    Da passt vieles auf mich und meine Mutter - Positives wie Negatives.

    Meine Mutter hat immer sehr plastisch von den Kriegsjahren erzählt.
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    schrieb am 30.01.2017 um 08:59
    Vielen Dank für Deine Zeilen!

    Ja, ich habe das Buch Kriegsenkel gelesen.
    Es hat mich sehr berührt.

    2012 habe ich an einem "Seminar für die Töchter der Kriegskinder" von Sabine Bode teilgenommen. "Die Erbinnen der vergessenen Generation: Was vom Krieg übrig blieb."

    In der Zeit habe ich mich intensiv mit dem Thema ausenandergesetzt.
    http://rainbop.blogspot.de/2012/07/kriegsenkel.html

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