Donnerstag, 29. September 2011

Gender und Sprache

A) Der schwangere Arzt

In den 1980er-Jahren weigerte sich Rita Süssmuth in ihrer Funktion als Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit eine Verordnung zum "Arzt im Praktikum" zu unterschreiben. Dort hieß es: "Wenn der Arzt im Praktikum schwanger wird, hat er Urlaub nach den Regelungen des Mutterschutzgesetzes, nach Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs kann er seine Ausbildung fortführen." Auf die Frage, ob sie das wirklich unterschreiben solle, bekam Frau Süssmuth folgende Antwort: "Arzt im Praktikum” ist eine geschlechtsneutrale Bezeichnung; das ist eine Institution." Frau Süssmuth entgegnete: "Aber Institutionen werden aller Erfahrung nach nicht schwanger."
Quelle: Asche/Huschens 1990, S. 24

B) Vater und Sohn

In einer seiner Vorlesungen konfrontierte ein Professor die Studentinnen und Studenten mit folgender Kurzgeschichte:

Ein Vater fuhr mit seinem Sohn im Auto. Sie verunglückten. Der Vater starb an der Unfallstelle. Der Sohn wurde schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert und musste operiert werden. Ein diensthabendes Mitglied des ärztlichen Personals eilte in den OP, trat an den Operationstisch heran, auf dem der Junge lag, wurde kreidebleich und sagte: „Ich bin nicht imstande zu operieren. Dies ist mein Sohn.“

Frage: Wie sind die Verwandtschaftsverhältnisse in dieser Geschichte?

Der Professor löste mit seiner Geschichte im ersten Moment Irritationen aus. Die Zuhörerinnen und Zuhörer grübelten. Dann glaubte ein Student, die Situation aufklären zu können, und meinte, dass der verunglückte Vater nicht der richtige Vater gewesen sei und der Arzt im OP in dem Jungen seinen leiblichen Sohn erkannt habe. Die richtige Interpretation war jedoch, dass im OP die Mutter ihren Sohn vorfand. Alle waren davon ausgegangen, dass das „Mitglied des ärztlichen Personals“ ein Chirurg sei. An eine Chirurgin hatte scheinbar niemand gedacht.

Quelle: Geschlechtergerechte Sprache. Empfehlungen der Gleichstellungsbeauftragten der Universität zu Köln

C) Es gibt immer noch Stellenanzeigen, wo nach einer "Assistentin der Geschäftsleitung (m/w)" gesucht wird. Frage: Welche Aufgaben gehören zu dieser Funktion? Und welche Aufgaben gehören zu der Funktion "Assistent der Geschäftsleitung (m/w)", der perspektivisch schnell Linienverantwortung übernehmen soll? Wer mag, kann beide Ausdrücke ja einfach mal im Internet eingeben.

Weitere schöne Beispiele in einem Dokument der Stabsabteilung für Gleichstellungspolitik der Johannes Kepler Universität Linz: Geschlechtergerecht in Sprache und Bild

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen